Früher Sägespäne, heute Mehl

Erste Schultage am Oberhofer Sportgymnasium sind alles andere als normal. Denn: Wer Mitglied der verschworenen Gemeinschaft auf dem Rennsteig werden will, kommt um das Aufnahmeritual nicht herum.

Von Karsten Tischer

Oberhof. Viele Gemeinschaften haben ihre Aufnahmerituale. Manche lassen ihre neuen Mitglieder  barfuß  über glühende Kohlen laufen, andere kriegen den Hintern rot gemacht. Am Oberhofer Sportgymnasium (SGO), einer von 43 Eliteschulen des Sports in der Bundesrepublik, ist das nicht anders. Wer hier aufgenommen werden möchte, muss nicht nur gute schulische und sportliche  Leistungen bringen. Er oder sie muss anno 2025 auch Wasser- und  Mehlduschen und noch mehr über sich ergehen lassen.

Als Thüringens Schüler am Montagmorgen in die Schulen zurückkehren, begrüßt Oberhof 40 neu aufgenommene Schüler am SGO. Ihre Namen dürfen aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht werden, teilt die Schulleitung mit. Die „Stifte“ erwartet am ersten Tag etwas, das seit jeher zum Leistungssport dazugehört: Wer Teil der verschworenen Gemeinschaft sein möchte, muss auch bereit sein, sich selbst  für einen Moment  lächerlich zu machen. Das schweißt zusammen.

In Oberhof beginnt  die „Stiftung“ am Montag allerdings wie gehabt zunächst mit guten Nachrichten für das Portemonnaie des SGO. Seit  1997, dem Gründungsjahr der Eliteschulen des Sports,  engagiert sich die Sparkassen-Finanzgruppe  als einziger Wirtschaftspartner für die Sportschulen  in Deutschland. 7700 Euro bringen die Vertreter des Kreditinstituts, darunter mit Stefan  Reuß der  Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen-Thüringen, mit an den Rennsteig. Das Geld soll  in den Unterhalt der zwei Kleintransporter fließen, die die Kinder zu Training und Wettkämpfen bringen. Obendrein wird mit Viktoria Hansova wie im Vorjahr eine Kufensportlerin als Eliteschülerin des Sports ausgezeichnet. Zu Beginn des Jahres 2024 gewann die Skeletonpilotin   Gold bei der Junioren-Weltmeisterschaft im norwegischen Lillehammer. Ein Jahr später folgte Team-Gold in St. Moritz. Im Sommer legte die Schmalkalderin ihr Abitur am SGO ab. Am Montag bekam  sie  trainingsfrei, um noch einmal in ihre alte Schule zurückzukehren, die für acht Jahre die Heimat der Athletin vom RSV 90 Schmalkalden war.

An ihre eigene Stiftung kann sich die heute 21-Jährige noch gut erinnern. Früher, sagt sie,  sei es   ein bisschen extremer gewesen – mit Sägespäne-Duschen und hineinwerfen der Neuen in den im Schulhof aufgebauten Pool. Aus Sägespänen und Wasser im Pool sind heute Mehl, das einem auf den Kopf fällt, und Wasserspritzpistolen für die nasse Bestrafung von der Empore  geworden.

Mutet man den Kindern von heute nichts mehr zu? Viktoria Hansova kennt das Problem. Manche Eltern hätten sich in der Vergangenheit über die Auswüchse beim Ritual beklagt. Was auf die Neulinge während  der Stiftung zukommt, musste deshalb vorab mit der Schulleitung genau abgesprochen werden. „Aber es ist ein Ritual. Es geht die Tradition verloren, wenn wir es nicht wie früher machen“, findet Viktoria Hansova. 

213 Schüler und wann eine Leiterin?

Michael Will kann den Wandel bestätigen. Der Goldlauter-Heidersbacher arbeitet seit 2005 an der Eliteschule. Seit einem Jahr, als der langjährige Rektor  Volkmar Heyder sich  in den Ruhestand verabschiedete, ist Will kommissarischer Leiter  des SGO. „Früher war es extremer. Als ich anfing, stand draußen ein Becken mit Wasser und Schnee“, erzählt er von früheren  Stiftungen. Dass es heute etwas softer zugeht, findet Will jedoch gut. Man müsse es ja nicht übertreiben.

Viel mehr stört sich der 62-Jährige am Rechtsstreit um den Führungsposten in seinem Haus. Zwei Bewerberinnen gibt  es. Die Kandidatin, deren Bewerbung  erfolglos blieb, zog vor Gericht. Die Klage wurde abgewiesen, die Bewerberin ging in Berufung. Das Verfahren ist nach wie vor  nicht abgeschlossen. So ist Michael Will weiterhin am Ruder und wäre doch lieber wieder das, wofür er einst in den Schuldienst eingetreten ist: Lehrer. Als solcher hätte er keinen Grund gesehen, vorzeitig in Rente zu gehen. Nun, mit den umfangreichen Zusatzaufgaben, könnte der Abschied vielleicht eher  kommen. „Aber dieses Jahr nicht und nächstes Jahr nicht gleich“, scherzt Will und dankt  seinen Kollegen, die ihn tatkräftig unterstützen, allen voran  Oberstufenleiterin Nicole Bohne.

Im Kollegium sind die Lücken laut Will hingegen geschlossen worden.   Im vergangenen Winter hat    die promovierte Biologin Annett Przybyla  den  Chemieunterricht übernommen. Der war zuvor ausgefallen. Die Schülerzahl bleibt auch 2025 stabil:   213 Mädchen und Jungen besuchen momentan das SGO. Inzwischen gebe es auch wieder zwei, drei Bobsportler, sagt Michael Will. „Letztes Jahr gab es gar keine Bober. Die Sparte befindet sich wieder im Aufbau.“ 

Freies Wort vom 13.08.2025